Seit Jahrhunderten wird die historische Wahrheit
der biblischen Geschichte zu widerlegen versucht, doch lange stand für
dieses Begehren nur der gesunde Menschenverstand zur Verfügung. Was die
Verführungskräfte der aufklärerischen Vernunft allerdings kaum
schmälerte, so daß vor knapp 120 Jahren ironischerweise gerade
die Bibelgläubigen zuerst zu Archäologen wurden, um durch Ausgrabungen
in Israel die harten wissenschaftlichen Fakten wider alle Vernunft zu liefern.
Seitdem wurde in ganz Israel und Palästina die Erde nach Beweisen für
die Historizität der Heiligen Geschichte durchgraben. Aber auch wenn
unter Sand, Erde, Schutt vieltausendjährige Geschichte zum Vorschein
kam, für die Epoche von Abraham bis König David konnte kein verläßliches
Unterpfand der biblischen Erzählung geborgen werden.
Diese verzweifelnden Enttäuschungen führten Ende der 1970er Jahre
schließlich zu einer methodischen Umkehr der biblischen Archäologie.
Fortan ging man nicht mehr ausschließlich von den Überlieferungen
der Bibel aus, sondern versuchte, aus den archäologischen Funden zunächst
ein Bild vom Ablauf der Geschichte Israels zu gewinnen, um dieses sodann mit
der Bibel in Vergleich zu bringen. Zu den namhaftesten Vertretern dieses neuen
Ansatzes gehört Israel Finkelstein, Direktor des Archäologischen
Instituts der Universität Tel Aviv, der im letzten Jahr gemeinsam mit
Neil Silberman die neuesten archäologischen Resultate zu einem spannenden
Buch zusammenfaßten.
Zu Beginn stellen die beiden Autoren direkt aus der geweihten Erde die Zeit
der Erzväter vor Augen. An zahlreichen Details zeigen sie, daß
deren Geschichte kaum vor dem 800 v.u.Z. niedergeschrieben worden sein kann,
da z.B. Kamele, von denen es in den Erzählungen wimmelt, erst weit nach
1000 v.u.Z. gezähmt wurden, oder weil Harz, Balsam und Myrrhe, welche
die Karawane in der Josephsgeschichte mitführte, erst zwischen 700 und
600 v.u.Z. als Waren des arabischen Handels zu Wert kamen. Als nächstes
widerlegen sie den Exodus. Angesichts der Übermacht Ägyptens im
13. Jh. v.u.Z., seinem effektiven Verwaltungsapparat in den Kolonien Kanaans,
seiner schlagkräftigen Armee und den bewachten Grenzen, ist es undenkbar,
daß 400.000 Sklaven aus Ägypten durch den Sinai flohen und dabei
noch nicht einmal Spuren weder im Wüstensand der Halbinsel noch in den
Dokumenten hinterließen. Des weiteren zeigen die Verfasser, daß
die Mauern von Jericho nicht auf das Erschallen von Joshuas Posaunen einstürzen
konnten, da das damalige Dorf Jericho, ebenso wie die anderen umliegenden
Dörfer, gar keine Stadtmauer hatte. Auch waren, gemäß den
Ausgrabungen, weder König David noch sein Sohn Salomon mächtige
Herrscher, da zu ihrer Zeit das Land Juda ein kleines unterentwickeltes Hirtenland
in den Bergen und Jerusalem nur ein Dorf war, wo sich ebensowenig ein mächtiger
Tempel zum Himmel öffnete wie in Megiddo eine riesige Burg prangte.
All diese Thesen werden plausibel dargestellt und lassen sich mit Spannung
lesen, aber sie entgehen nicht dem grundsätzlichen Problem der Archäologie,
daß stets nur ein Fundstück beweisen kann, nicht aber dessen Abwesenheit.
Selbst wenn es durchaus wahrscheinlich ist, daß die Erzählungen
der Genesis und des Exodus nicht nur literarisch ausgeschmückt, sondern
schlichtweg erfunden und als fromme Mythen in die Vergangenheit eines Volkes
projiziert wurden, streng wissenschaftlich beweisen läßt sich dies
nicht. Und gerade das machen sich gewisse religiöse und politische Kräfte
auch im vorliegenden Fall wieder zu nutze, da mit dem Zweifel an den Erzvätern
kaum weniger auf dem Spiel steht als vor 150 Jahren mit Darwins Abstammungslehre.
Sollte Abraham tatsächlich nie existiert haben, so kann auch Gott keinen
ewigen Bund mit ihm geschlossen haben, doch gerade von diesem Bund mit Abraham
leiten sich ja der jüdische, ebenso wie der christliche und der muslimische
Glaube ab. Wenn Abraham nicht von Gott das Land vor seinen Augen versprochen
bekam, und wenn die Erzväter nicht in Hebron beerdigt wurden, und wenn
König David nie Herrscher über ein vereinigtes Israel war und Salomon
keinen Tempel in Jerusalem errichtete, so sind die territorialen Ansprüche,
die in dieser Region unvermindert auf historischem Revisionismus beruhen,
noch fragwürdiger als ohnehin. Gründe, die das vorliegende Buch
der Archäologen bereits seit einem Jahr heftigen Anfeindungen von fundamentalistischer
wie politischer Seite aussetzen.
Der etwas unspektakulärere, aber weit aufschlußreichere zweite
Teil des Buches handelt von den Jahren 884-609, als das nördliche Königreich
Israel und das südliche Juda nebeneinander bestanden. Für die Erforschung
dieser Periode kann die Archäologie, nicht zuletzt durch außerbiblische
Schriftstücke, auf bedeutend reichhaltigeres Material zurückgreifen,
wodurch sich schlüssigere Geschichtsbilder skizzieren lassen. So wird
unter anderem ersichtlich, daß das Nordreich Israel, dem die Bibel wegen
seiner gottlosen Herrscher die Schuld an Gottes Zorn zuschrieb, bereits im
9. Jh. staatliche Merkmale aufwies, wohingegen Juda mit Jerusalem als Zentrum
erst 150 Jahre später zu solcher Organisationsform fand. Es läßt
sich zudem zeigen, daß beide eine gemeinsame Sprache, Sagenwelt und
Vergangenheit teilten, beide YHWH als einen von vielen Göttern verehrten
und sich in beiden Reichen ab dem 8. Jh. eine gemeinsame Schrift entwickelte.
So lange sich das sorgsam übersetzte Buch auf die Tatsachen der Ausgrabungen
bezieht, vermag es zu faszinieren, wo es sich allerdings in Rückschlüssen
auf die Entstehung des Bibeltextes ergießt, entzieht sich seinen Thesen
schnell der Boden. Mit der Selbstsicherheit der exakten Wissenschaft im Rücken,
verkünden die Autoren, die biblischen Bücher der Geschichte und
die Bücher Mosis seien unter König Josia (640-609) als ein propagandistisches
Werk verfaßt worden, um Israel und Juda unter einem gemeinsamen Gesetz,
einer gemeinsamen Geschichte und einem gemeinsamen Gott zu vereinigen und
von Jerusalem aus zu beherrschen. Gewiß spricht vieles dafür, daß
die Entstehungszeit einiger Bibelschriften auf die Regenz Josias fällt,
aber es fehlt keineswegs an Gegenargumenten, die daraufhin deuten, daß
insbesondere die Torah erst im babylonischen Exils (597-538) ihre eigentliche
Verfassung fand. Josia und seine Priester mögen glänzende Ideologen
gewesen sein, aber es ist kaum vorstellbar, daß sie ohne die Grundlage
einer poetischen Tradition eine solch literarische und psychologische Meisterschaft
erreichten, daß sie das vielstimmige biblische Werk zu lediglich propagandistischem
Zwecke zu verfassen vermochten. Die metaphysische, religiöse, politische
und literarische Revolution, die von der Bibel getragen wurde, auf ein Machwerk
einer politischen Clique zu reduzieren, hat weder mit Archäologie noch
mit wissenschaftlicher Aufrichtigkeit zu tun und zerkratzt die unzweifelhaften
Qualitäten des Buches.