Im Anfang schufen die Götter
Über die Entstehung des Monotheismus nach Jean Soler

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«Und Gott sprach: Lasst Menschen uns machen als unser Abbild, uns ähnlich.» - Wie in diesem Satz zu Beginn des sechsten Schöpfungstages zeigt sich der ursprüngliche Polytheismus der Israeliten an zahlreichen Stellen der Bibel. Schliesslich galt Jahwe, der Gott Israels, bis etwa 400 v. u. Z. lediglich als ein Volksgott unter vielen. Wie die Phönizier zu Baal, die Assyrer zu Assur und die Babylonier zu Marduk beteten, beteten die Israeliten zu Jahwe, ohne den Göttern der anderen Völker deshalb die Existenz abzusprechen.
Ein Volk hatte seinem Gott Opfer zu bringen und sich seinem Willen zu unterwerfen, auf dass der Gott vor Dürren, Seuchen, Überschwemmungen schütze und insbesondere im Krieg zur Seite stand. Galten im schlachtenreichen Orient die Volksgötter doch in erster Linie als Kriegsgötter, die für Sieg oder Niederlage ihres Volkes einzustehen hatten. Wurde ein Volk von einem anderen unterworfen, wurde dies als Zeichen dafür gewertet, dass der Gott, an den das Volk bis dahin glaubte, so stark eben doch nicht war, und man fortan besser dem siegreichen, also mächtigeren Gott die Opfer bringe. So verlor mit der Unterwerfung Phöniziens auch dessen Gott Baal seine «historische Existenz»; und dem Gott der Moabiter, dem der Hittiter, der Assyrer, der Elamiten erging es schliesslich nicht anders. Einzig Jahwe, der Herr der Israeliten, fand trotz unablässig aufeinander folgenden Niederlagen historische Dauer im Glauben seines Volkes. Wie es dazu kommen konnte, zählt zu den eindrücklichsten Beispielen für die Souveränität der menschlichen Vorstellungskraft angesichts des Ausgeliefertseins an die hässliche Wirklichkeit der Welt.
Diesem faszinierenden Kapitel der Menschheitsgeschichte, in dessen Verlauf aus dem Nationalgott jenes winzigen Volkes Israel der alleinige Gott des Monotheismus wurde, widmete vor kurzem der französische Judaist Jean Soler eine höchst beeindruckende Studie. Unter dem provokanten Titel «L'invention du monothéisme» versucht Soler anhand von fundierten semantischen, stilistischen und historisch vergleichenden Analysen des Bibeltextes, die innere Logik der biblischen Glaubensentwicklung herauszuarbeiten.
Im Jahre 622 v. u. Z. fand der judäische König Joschija im Tempel von Jerusalem ein Buch (die Urfassung des 5. Buches Mose), auf dessen Tafeln die Worte Jahwes als Gesetz für sein auserwähltes Volk niedergelegt waren. Königliche Gesetzestafeln hatte es im Orient schon seit mindestens 1800 v. u. Z. gegeben, aber noch nie hatte ein Volk seine Gesetzestafeln unmittelbar von den Lippen seines Gottes empfangen. Und gerade diese revolutionäre Idee, den Gott persönlich zum Gesetzgeber zu machen, ist die eigentliche Geburtsstunde der judäischen Religion und somit des biblischen Denkens überhaupt.
Streng sind die Gesetze, die Jahwe seinem auserwählten Volk auferlegt. Gehorcht das Volk, verhilft ihm Gottes Liebe zu Macht und Reichtum. Verstösst es dagegen, so wird dies aufs Schrecklichste von Jahwe vergolten. Das Gesetz ist damit aber nicht nur Gebot fürs Volk, sondern zugleich ein Vertrag zwischen Jahwe und seinem Volk, durch den der Gott sich selbst zu richterlicher Gerechtigkeit verpflichtet und seiner Willkür abschwört. Das Schicksal wird von jetzt an durch das kausale Verhältnis von Schuld und Vergeltung bestimmt.
Schicksalsschläge sind somit als göttliche Strafen für die Sünden des Volkes zu verstehen. Das Volk wird für sein eigenes Schicksal verantwortlich. Das Weltgeschehen wird in den Bezug von (menschlicher) Ursache zu (göttlicher) Wirkung gebracht, womit das Gottesvolk, wenngleich in den Fesseln des Gesetzes, von der kapriziösen Willkür des Himmels befreit wäre. Doch der Preis für diese Befreiung vom fremdbestimmten Schicksal ist ein ungeheurer Schuldkomplex. Denn wieder und wieder müssen die Israeliten erkennen, dem überaus verzwickten Gesetz ihres Gottes, das nur zu oft im Widerspruch zu den menschlichen Triebkräften steht, nicht gewachsen zu sein, womit sie beständig zur Ursache ihres eigenen Verderbens werden.
In diesem übermächtig anwachsenden Schuldgefühl Israels liegt nun zugleich die Rettung seines Gottes Jahwe begründet. Wo einst der Kriegsgott die Schuld trug, wenn sein Volk von einem anderen unterworfen wurde, liess sich solch eine Niederlage nunmehr als Richtspruch Jahwes und folglich als Zeichen seines allmächtigen Willens deuten. In der grausamen Unterdrückung durch die Assyrer glaubte Israel, das schuldbeladene Volk, jetzt also den Glanz von Jahwes unbezwinglicher Vergeltungsmacht zu erkennen. Und auch die verlorene Schlacht gegen die Babylonier, die 587 v. u. Z. den Tempel in Jerusalem schleiften und die Elite Judäas nach Babel verschleppten, wurde auf eben diese Weise interpretiert.
In jener Zeit des babylonischen Exils wurde das Gottesgesetz (Tora) weiterentwickelt und literarisch mit den Erzählungen von Abraham, Moses, Salomon zur Urfassung der Bibel verfugt. Die Geschichte Israels wurde hierbei als Offenbarung sowohl von Jahwes wunderbarer Liebe als auch seiner strafenden Gerechtigkeit konzipiert, was die Macht des Volksgottes immens vergrösserte. Denn wo nicht nur die Natur, sondern auch die Armeen der fernsten Völker seinem Willen gehorchen, um Israels Sünden zu strafen, da muss sein Wille geradezu allmächtig sein und er weit über allen sonstigen Göttern stehen. Doch auch wenn Jahwe dieserart zum höchsten und mächtigsten Gott stilisiert wurde, so war man noch weit entfernt, ihn auch für den einzigen Gott der Welt zu halten. Diese Gottesidee entwickelte sich, wie Jean Soler kenntnisreich zeigt, erst nach der Rückkehr aus dem Exil.
Als die Perser 539 v. u. Z. Babylon besiegten, gestatteten sie den Israeliten, wieder nach Jerusalem zurückzukehren, den Tempel wieder aufzubauen und nach ihren eigenen Geboten zu leben. Womit Jahwe zum ersten Mal ein fremdes Volk benutzte, nicht um Israel zu strafen, sondern um Israel zu retten. Nun mussten sich aber auch die Sehnsüchte nach dem Gelobten Land, die im Exil mit poetischem Rausch ins Übermass getrieben worden waren, an der Wirklichkeit messen. Was rasch zu entsetzlicher Ernüchterung führte. Die Gesetze, welche die Exilanten im Namen Gottes für ein ideales, reines Gottesvolk erschaffen hatten, zeigten sich in der konkreten Politik als untauglich. Sosehr die spirituelle und literarische Kraft der neu verfassten Gottesschriften das Volk auch mitriss, die Streitigkeiten zwischen der aus dem Exil zurückkehrenden Elite und dem in der Heimat zurückgebliebenen Volk erwiesen sich als unüberbrückbar.
Die schöne neue Traumwelt Gottes, die im Exil errichtet worden war, drohte wie ein Sandhaus im Wind zu verwehen. Bald wurden neue Zweifel an Jahwes Grösse laut. Kann Jahwe denn der mächtigste Gott im Himmel sein, wenn er sein Volk, obwohl es sich so orthodox wie nie zuvor an das göttliche Gesetz hält, in schmachvoller Bedeutungslosigkeit versinken lässt, während die persischen Kolonialherren glorreich ihr Weltreich verwalten dürfen? Liegt hier nicht der rettende Gedanke nahe, dass Jahwe und Ahura-Mazda, der allmächtige Schöpfergott der Perser, ein und derselbe sind? Dass Gott nur ein einziger Gott ist, der gerade die Perser für eine gewisse Zeit bevorzugt?
Diese Hypothese Jean Solers, der sonst mit viel Bedacht die Klippen der Spekulation meidet, vermag kaum zu überzeugen. Den Persern zuzugestehen, dass sie in Gottes Gunst über den Israeliten stehen, obwohl sie nicht einmal sein Gesetz kennen, geschweige denn nach diesem leben, stände im Widerspruch zu aller biblischen Logik. Unzweifelhaft aber ist, dass Israels zentrales Problem in dieser Zeit der Glaubenskrise mehr denn je darin bestand, dass Jahwe erstens mächtiger als die Götter der anderen Völker zu sein hatte und zweitens das israelitische Volk als sein auserwähltes anerkennen musste. Nichts aber garantierte die herausragende Position des eigenen Gottes so gut wie die Aberkennung des Existenzrechts aller anderen Götter.
Man verschrie die Götter der anderen Völker als Chimären, als lediglich in Idole aus Gold, Bronze, Holz hineinphantasierte Fiktionen, die jeder Realität entbehrten. Der einzige Gott, der wirklich Gott ist, ist Jahwe. Zwar verschaffte dies zunächst auch noch keine Erklärung für Israels Schatten in Persiens Glanz, aber - und das war das Entscheidende - Jahwe und die Identität seines Volkes konnten in eine den menschlichen Geist übersteigende Theologie gerettet werden. Dieser Glaubenswandel bedeutete natürlich, dass aus den frühen Bibeltexten die auffälligsten Polytheismen ausradiert werden mussten, was mitunter zu höchst merkwürdigen Widersprüchen des Textes führte. Beispielsweise wurde das im Hebräischen eindeutig als Plural zu erkennende Elohim (Götter) von dieser Zeit an mit Verben im Singular verbunden: «Im Anfang schuf Elohim Himmel und Erde», womit aus dem Plural von Gott gleichsam ein Titel von Gott dem Alleinzigen wurde.
Der so entstandene Monotheismus war freilich noch kein philosophisch-spekulativer Monotheismus, sondern zunächst nur eine verfeinerte Form der Monolatrie, in welcher das Existenzrecht aller anderen Götter ausgelöscht worden war und der Volksgott mit dem Schöpfergott identifiziert wurde. Thesen wie die von der Unendlichkeit Gottes oder seiner Form- und Gestaltlosigkeit, welche den Monotheismus in Synthese mit der griechischen Metaphysik zum überwältigenden religiösen Konzept machten, sind sämtlich späteren Datums. Was ebenso für den ethischen Universalismus gilt, der erst durch Paulus gut vier Jahrhunderte später die Doktrin des auserwählten Volkes durchbricht und den Schluss zieht, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einem Volk in der Liebe des einzigen Gottes gleich sind.
Jean Soler: L'invention du monothéisme. Editions de Fallois, Paris 2002. 280 S., Euro 32.10.