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Was ist die kulturelle Kraft?

Wieder ein Sammelband über die Bibel

von Daniel Weidner

zu

Georg Steins, Franz Georg Untergaßmair (Hrsg.):
Das Buch, ohne das man nichts versteht. Die kulturelle Kraft der Bibel


Das vorliegende Buch enthält die Beiträge einer Ringvorlesung, die zum Anlass des Jahres der Bibel (2003) an den Universitäten Osnabrück und Vechta stattgefunden hat; seine Autoren sind zum weitaus größten Teil Theologen – zwei Sprachwissenschaftler, ein Literaturwissenschaftler, ein Historiker und ein Musikpädagoge stellen die Ausnahme dar. Das Spektrum der Beiträge ist weit: Ein eher kleiner Teil ist an der Wirkungsgeschichte der Bibel in Literatur und Kunst interessiert, zu nennen wären hier die Untersuchung Georg Steins über die komplexe Intertextualität der Darstellungen der Opferung Isaaks in der Bibel, bei Caravaggio und bei dem amerikanischen Gegenwartsautor Neil Gordon (GEORG STEIMS) oder die klug auf die frühe Neuzeit begrenzte Darstellung verschiedener Judith-Dramatisierungen (KAI BREMER). Auch Susanne Klingers kulturtheoretische Erörterung des Bedeutungspotentials der biblischen Geschichten im Zeitalter der 'postsäkularen Gesellschaft' stellt eher eine Ausnahme dar. Der größte Teil handelt von der Kulturgeschichte der Bibel, von ihren verschiedenen Erscheinungsformen und Lektüreweisen, etwa in den interessanten Aufsätzen zur Textpflege unter den Karolingern (THOMAS VOGTHERR), zum Umgang verschiedener Theologien mit der Exegese (MARTIN JUNG, RAIMUND LACHNER, KARL JOSEF LESCH) oder zur unheimlichen Präsenz der Bibel in der Sprache Adolf Hitlers (MANFRED EDER). Der Sprachwissenschaftler WILFRIED KÜRSCHNER erörtert die Sprache der Lutherbibel und ihrer Revisionen in einer detaillierten und abgewogenen Weise, die gar nicht zu der im Zusammenhang mit der Bibel so verbreiteten Rhetorik vom Bildungsverlust passen will; der Sprechwissenschaftler EBERHARD OCKEL befasst sich mit der Lesung der Bibel und der Problematik, einen (vor)lesefreundlichen Text der Bibel zu gestalten. Und ganz besonders interessant sind zwei Beiträge über die Gestaltung von Kinderbibeln: Über ihre moralisierende Natur der Kinderbibeln im bürgelichen Zeitalter (REINHOLD MOKROSCH), über die Auswahl und Erzählreihenfolge moderner Kinderbibeln (THOMAS NAUERTH).

So interessant diese Beiträge im Einzelnen sind, so disparat ist ihre Zusammenstellung. Es ist leider symptomatisch für solche Sammelbände, daß sie der Frage nach einem zugrundeliegenden Konzept eher ausweichen. In diesem Fall fehlt eine Einleitung, der Titel bleibt so evokativ wie kryptisch: "Das Buch, ohne das man nichts versteht" spielt auf eine hermeneutische Funktion an, ohne deutlich zu machen, was man ohne die Bibel nicht versteht – andere Bücher, die Welt, alles? – und vor allem: wie man denn die Bibel versteht und wie man mit der Bibel versteht. Auch der Untertitel "Die kulturelle Kraft der Bibel", der vielleicht der überwiegend kulturgeschichtlichen Orientierung angemessen ist, hilft nicht wirklich weiter. Gänzlich irreführend schließlich der den Band eröffnende Text von WILFRIED WIEGAND – ursprünglich ein FAZ Artikel –, der das bekannte Lamento über die schwindende 'Allgemeinbildung' über die Bibel, ja gar den Verlust ihrer 'Autorität' erhebt. So richtig das sein mag, so wird damit doch ein antiquierter Kulturbegriff bedient, der die einzelnen Beiträge unter Wert verkaufen würde. Schade, dass nicht einmal der Versuch unternommen wurde, diese für sich interessanten Aufsätze in einen gemeinsamen Rahmen, sei er methodisch oder thematisch zu stellen.

Georg Steins, Franz Georg Untergaßmair (Hrsg.): Das Buch, ohne das man nichts versteht. Die kulturelle Kraft der Bibel (Vechtaer Beiträge zur Theologie Bd. 11), Münster: Lit Verlag 2005.