Das Schweigen der Engel
von Hans-Peter Schmidt zu
Andrei Plesu
Actualité des Anges
Edition Buchet Chastel, 2005
Der
glücklose Engel. Hinter ihm schwemmt Vergangenheit an, schüttet
Geröll auf Flügel und Schultern, mit Lärm wie von begrabenen
Trommeln, während vor ihm sich die Zukunft staut, seine Augen eindrückt,
das Wort umdreht zum tönenden Knebel, ihn würgt mit seinem Atem.
Wo Poeten wie Heiner Müller sich den Engeln widmen, schaffen sie Figuren,
durch die neues Licht sich aus dem Weltbild locken läßt, doch wenn
Wissenschaftler oder gar Politiker mit ihrer autoritären Ernstigkeit
zu umfassenden Studien über die reale Existenz von Engeln ausholen, droht
Unbehagen. Trotzdem stehen Engel seit etwa 10 Jahren wieder in prosperierender
geisteswissenschaftlicher Mode und sorgen für eine Flut neuer Publikationen.
Eines der noch seriösesten Bücher hat der ehemalige rumänische
Außenminister, Philosophieprofessor und Rektor des New Europe College,
Andrei Plesu, unter dem Titel die „Aktualität der Engel“
vorgelegt. Auch Plesu weiß natürlich, daß die höhere
akademische Welt seine nicht etwa nur geistesgeschichtliche Abhandlung über
die unberührbaren Gehilfen Gottes nicht sonderlich goutieren wird, doch
war Konformität dem unter Ceausescu jahrelang verbannten Wissenschaftler
offensichtlich noch nie die vordergründige Sorge. Schichtend auf einer
soliden Basis historischer Angeologie, die von Platon über die Kirchenväter,
Thomas von Aquino, die Kaballa bis zu den Poeten der Moderne reicht, entwickelt
er im Stile philosophischer Abhandlungen eine veritabel Theorie der Wirkungskraft
von Engeln. Ohne die Engel bliebe dem Menschen die himmlische Welt zeitlebens
unerreichbar, und statt das irdische Leben vom himmlischen Ideal durchwehen
zu lassen, müßte der Mensch ein jeder bis zu seinem Tode mit bloßer
Hoffnung vorlieb nehmen. Die Engel, sofern sie vom Menschen ernst genommen
werden, würden, laut Plesu, eine spürbare Nähe zwischen Geist
und Materie ermöglichen, womit sich die für die Menschheit so unglückselige
Distanz zwischen himmlischer und irdischer Welt sowie zwischen Realität
und Ideal ausräumen ließe. Plesu ist zu bewandert im Umgang mit
wissenschaftlichen Prinzipien und womöglich zu sehr Politiker, um sich
auch nur im Geringsten den Klippen des Konkreten auszusetzen und handfest
wie die Spätantiken zu beschreiben, was und wie die Engel denn nun sind,
denn daß sie sind, geht ja offensichtlich schon daraus hervor, daß
sie unverzichtbar für die Aufrechterhaltung des abendländischen
Weltbildes wurden. Von Engeln jedoch in Begriffen der Existenz zu sprechen,
ist bereits Verrat an ihnen. Engel sind wie Träume und Erinnerungen,
die sich ebensowenig berühren lassen, und trotzdem unzweifelhaft wirklich
sind. Daß der Mensch sie sich in einem entscheidenden Moment seiner
Geschichte ausgedacht hat und ohne sie so völlig verloren mit dem schwerfälligen
Gott wäre, muß als Beweis ihres Daseins genügen. Der arme
Leser ist perplex. Trotz allem Gewinn der ihn lockt, liest er schließlich
doch nicht weiter und greift statt dessen vielleicht zur biblische Erzählung
von Abrahams Gespräch mit dem Engel über die Ungerechtigkeit der
Zerstörung Sodoms, die durch die Kraft des literarischen Geistes noch
heute brisant, noch heute aktuell ist. Ohne die Literatur wäre der Engel
stumm geblieben, gleichwohl die Wissenschaft ihn bis heute mit ihren Begriffen
verhört.
Andrei Plesu Actualité des Anges, Edition Buchet/Chastel, 2005,
22,00 Eur