Von Fragen der Kunst und
Antworten der Religion
von Hans-Peter Schmidt zu
Hans Belting
Das echte Bild - Bildfragen als Glaubensfragen
Nachdem Hans Belting sowohl in seinen Büchern "Bild-Anthropologie" und "Bild und Kult" als auch in seinen zahlreichen Vorträgen schon Säulengänge zu einer neuen Bildwissenschaft errichtete, läuft er nun in seinem neuen Buch inhaltlich wie stilistisch zu betörender Hochform auf. Die in seiner Einleitung vorgebrachte These, daß der heutige mediale Umgang mit Bildern ursächlich von der christlichen Bildkultur geprägt ist, wird im Verlauf des Buches zwar nur versteckt untermauert, doch gründet sich die Faszination des Buches ohnehin eher auf die Untersuchung der Verstrickungen von spätantiken bis frühneuzeitlichen Glaubens- und Bildfragen. Während seit der Geburt der wissenschaftlichen Kunstgeschichte stets die Bedeutung des theologischen Hintergrunds für das Verständnis der Bilder hervorgehoben wird, zeigt Belting nun, wie sehr die Theologie überhaupt erst in den bildlichen Auseinandersetzungen zu sich selber fand und wie die Frage nach dem christlichen Gott nicht von der Frage nach dem Bild getrennt werden kann.
Schon von
seiner Konzeption her war die Person Jesus geradezu als Strategie gegen das
Bilderverbot angelegt. Während Jahwe, der unfaßbare Gott, nicht
abgebildet werden durfte, konnte Jesus als das lebendige Abbild Gottes angeschaut
werden. Jesus war gewissermaßen das von Gott selbst signierte Autoporträt,
das nun seinerseits auch von menschlichen Künstlern abgebildet werden
konnte, ohne daß sie sich an Gottes Undarstellbarkeit versündigten.
Was auf den ersten Blick als schlawinerisches Herauswinden aus dem der Phantasie
untragbaren Bildverbot anmuten mag, muß Hans Belting zufolge im Spiegel
der zu sich selbst erwachenden Kunst betrachtet werden. Schließlich
ging es in der Frage von Bild und Abbild nicht mehr um das antike kunsthandwerkliche
Problem, sondern darum, im sichtbaren Bild das Unsichtbare mit hindurchscheinen
zu lassen. Was aus religiöser Sicht eben bedeutet, im sichtbaren Jesus
den in ihm verborgenen unsichtbaren Gott, wenn schon nicht sichtbar, so doch
wahrnehmbar werden zu lassen. Das Unsichtbare im Bild geht mit dem Unsichtbaren
im Betrachter jene Einheit ein, die ein Gemälde überhaupt erst Kunst
sein und einen Gläubigen überhaupt erst Christ sein läßt.
Reich illustriert führt Belting vor, wie diese Zentralfrage der europäischen
Kunst und der christlichen Theologie einander umkreisten.
Wohl um der Polemik zu entweichen, geht Belting an diesem Punkt nicht in die
letzte Konsequenz, doch führt er den Leser geschickt genug vor die Pforte
der Schlußfolgerung, daß die Person Jesus die prägende Urform
des Kunstwerkes ist. Kunstwerk einer Kunst, die sich erst im Bild von ihm
entwickeln konnte, doch die durch die in Jesus ausgetragene Spannung von unabbildbarem
Gott und abbildbarem Menschen im Denken zur Kunst ausbrach.
Bliebe freilich
zu fragen: Warum, wenn die Existenz Jesu wirklich dieses prägende Kunstwerk
war, die christliche Kunst sich erst so viele hundert Jahre später gegen
das antik-römische Kunsthandwerk hatte durchsetzen können. Ist womöglich
die Existenz und Kreuzigung Jesu erst im nachhinein – also im Nachhinein
der Literatur - von der zu sich erwachten Kunst als Kunstwerk erkannt worden?
Oder war, was in der Existenz Jesu als Kunstwerk erscheint, gar schon seit
je Merkmal der Götter und insbesondere Merkmal des biblischen Gottes
gewesen?
Im ersten Tempel, dem von König Salomon erbauten, stand in der Wohnstatt
Jahwes, dem innersten Zimmer des Heiligtums, die Bundeslade als Fußbank
Gottes. Neben der Bundeslade, in der Gottes Gesetz ruhte, standen zwei riesige,
10 Ellen große Cherubim mit ausgestreckten Flügeln. Ihre Flügel
waren so ausgespannt, daß der Flügel des einen Cherub die eine
Wand, der Flügel des zweiten Cherub die andere Wand, die Flügel
in der Mitte des Raumes aber einander berührten (Kö:1,27). Auf den
sich in der Mitte berührenden Flügeln der Cherubim saß Jahwe,
und seine Füße stützten sich auf die Gesetzeslade. Doch Jahwe
blieb unsichtbar. Zwar war er in menschlicher Form gedacht, insofern ihm Sitz
und Fußbank zugedacht waren, aber an sich war er nicht zu sehen. Er
war da, war wirklich, aber nicht zuhanden.
Diese berühmteste Rauminstallation avant la lettre, die dem Unsichtbaren
Raum verschafft, arbeitete mit allen Mitteln der erst später als Kunst
erkennbaren Kunst die Ambivalenz Gottes als zugleich Unerkennbares und Daseiendes
heraus und schuf ein Bild, in dem das Abgebildete nicht sichtbar aber hindurchscheinend
ist. Waren sich, denkt man an diese frühe Installation des ersten Tempels,
Kunst und christliche Religion also tatsächlich die je gegenseitige Geburtsstunde,
oder hat der Mensch, als er sich und die Welt abstrakt zu betrachten begann,
schon Jahrhunderte vorher die Kunst als Chance zum Selbstverständnis
entdeckt und damit die Pforte hinaus zum Motiv der jungfräulichen Zeugung
des Gottessohnes aufgestoßen?
Egal ob in
Form kultischer Skulpturen oder als Verbot skulpturierter Bilder, die alten
Kulturen des nahen und mittleren Ostens – von Ägypten bis Mesopotamien
– haben eine hohe und extrem durchdachte Bildkunst der göttlichen
Ambivalenz geschaffen. Was im Falle der dargstellten Unsichtbarkeit Jahwes
höchst deutlich wird, ist auch im Falle Baals durchaus bedacht. Man darf
sich hier nicht von der biblischen Polemik gegen die Idolatrie irrführen
lassen. Keine der Kulturen von Ägypten über Ugarit nach Mesopotamien
hat das Kultbild ihrer Götter mit den Göttern selbst verwechselt.
Zwar waren der jeweilige Gott und vor allem dessen Kraft in die Materie des
Kultbildes eingelassen und somit physisch manifest, doch war kein Gott durch
diese skulpturale Verkörperung in seiner Ausdehnung und Macht limitiert.
Die Götter waren auch für die Bildanbeter stets mehr als ihre Bilder,
doch ließen sich durch die Bilder Beziehungen zwischen Gott und Mensch
herstellen, wodurch der Mensch himmlische Unterstützung für seine
irdische Existenz und der Gott Kontrolle über die Gläubigen gewann.
Die Kultbilder waren weder Abbild noch bloß Symbol, sondern ebenso wie
ein markanter Fels in der Ebene oder ein vertrockneter Baum in der Wüste
Träger bzw. Depositär göttlicher Macht und Potenz. Erstaunlicherweise
war die Ambivalenz des Kunstwerks zwischen Sichtbarem und unsichtbar Hindurchscheinendem
(zwischen Materiellem und Immateriellen) in den frühesten Kultbildern
sogar viel präsenter als in der antiken Hochkultur, wo das deutlich weiterentwickelte
Kunsthandwerk die Erschaffung wiedererkennbarer Abbilder ermöglichte.
Erst durch die kunsthandwerkliche Fähigkeit, nahezu spiegelgenaue Abbilder
lebender Wesen herzustellen, kam der Konflikt von Bild und Wirklichkeit sowie
von Schein und Sein auf, was in der Philosophie Platons und seiner Theorie
der Mimesis zum Schicksalsschlag der abendländischen Kunst wurde. Was
nicht im Widerspruch dazu steht, daß die platonische Auseinandersetzung
über Schein und Sein später auch zur treibenden Kategorie des späteren
Christentums wurde, und daß in diesem Umweg des Christentums schließlich
auch die Kunst wieder loskam von dem armseligen Schicksal, bloß schön,
bloß Schein zu sein.
Kunstgeschichtlich ließe sich das Aufkommen des Christentums als Befreiung
nicht vom Schein, sondern als Befreiung des Scheins beschreiben. Endlich findet
der Schein seine Heimat wieder unter der Oberfläche, wie Jahwe auf den
Flügeln der Cherubim, wie Gott in Jesus, wie der Geist in der Kunst,
wie der Mensch in seinem Selbstverständnis.
Allerdings war auch in Griechenland jenes der Kunst und Religion so verhängnisvolle Genie der Vernunft und des Handwerks nicht schon seit Urzeiten am Werk. Im archaischen Griechenland gab es etwa 15 Begriffe für das göttliche Idol und seine vielfältigen Formen. So hieß z.B. ein unbehauener Stein, baitylos. Ein Pfeiler, kion. Eine Stele, herma. Man kannte monströse Gestalten wie die Gorgo und die Sphinx. Oder grobe anthropomorphe Figuren mit Armen und Beinen wie das xoanon oder palladion. Keines dieser Gottesbildbegriffe hatte allerdings Bezug zur Vorstellung bildlicher Ähnlichkeit, figürlicher Nachahmung oder Imitation, was erst im 5. Jahrhundert v.u.Z. mit den Begriffsscheidungen eikon, mimema, eidolon Einzug ins Denken hielt. Xenophons und Platons Theorien der Mimesis markieren hier den Übergang von der Vergegenwärtigung des Unsichtbaren zur Nachahmung der Erscheinung (vgl. Vernant Naissance d’images). Eidolon, eikon, xoanon und überhaupt jedes menschliche Werk wurden in einem philosophischen Bausch zu reinem Schein und in diesem Sinne zu Täuschung. Der Schritt vom bloßen Schein des Bilds hin zu der Schlußfolgerung, daß auch die Originiale nur eingebildet sind, wurde da fast unvermeidlich. Wenn, so der lautwerdende Gedanke, die Gottesidole Täuschung sind, werden es auch die Götter sein, die man darin abgebildet glaubt. Das unsichtbare Immaterielle, das im Idol als Verheißung brennt, erlosch an der Kälte des berechtigten Zweifels. Womit freilich mehr als der Zweifel verloren ging.
Die enorme kunsthandwerkliche Entwicklung der Antike führte zu einer Abwertung der Kunst als geistig-materieller Prozeß. Während in den vorantiken Gottesskulpturen die Schönheit der Götter keine besondere Rolle spielte und nur durch den Reichtum der Ausschmückung, nicht aber durch das figürliche Erscheinungsbild dargestellt wurde, avancierte in der antiken Kunst die Schönheit zum Zentralbegriff. Geschult an den Skulpturen der olympischen Athleten wurde die Schönheit (kalos) und die schöne Ausstrahlung (charis) als Göttlichstes des Göttlichen den Götterskulpturen übertragen . Was soweit führte, daß die Schönheit der Skulptur wichtiger als die ihr idolatorisch innewohnde göttliche Kraft wurde. Das Schönheitsideal der Kunst wurde auf die Vorstellung, die sich der Mensch von den Göttern machte, zurückprojiziert. Die kunsthandwerkliche Entwicklung führte also nicht nur zu einer Abwertung des Geistigen in der Kunst, sondern auch zu einem Wandel des Glaubens. Aus der Erfahrung mit der Kunst wurde die Schönheit zum Hauptkriterium des Göttlichen, doch da sich die Götter nicht nur auf ihre äußere Schönheit reduziert ließen, sondern vor allem in ihrer inneren Schönheit die göttlichen Prädikate erfüllten, trennten sich die Götterbilder von den Bildern der Kunst, die mehr und mehr auf ihre Abbildfunktion fixiert wurde.
Nackt stand der Diskuswerfer Neikilodoros mit Muskeln, bis in die letzte Faser gespannt, auf dem Podest seiner Unsterblichkeit. Als Bild gewordene Erhabenheit, höchste Schönheit, Ideal. Göttergleich wurde er geheißen, und tatsächlich konnte niemand sich vorstellen, was ein Gott im Angesicht dieser Skulptur noch an Steigerung bieten könnte. So perfekt das nachahmende Abbild des siegenden Diskuswerfers jedoch war, die geistige Beschränktheit des Originals fand keinen Ausdruck darin, was letztlich auch auf die Götterbilder einen argen Schatten warf. Denn wenn die Kunst nur den äußeren Schein des Schönen zu fabrizieren vermag, taugt sie nicht, um einen Gott wahrhaft abzubilden, ist die Schönheit der Götter doch die unauflösliche Einheit des schönen Leibes, der schönen Seele, des schönen Geistes und der schönen Tat, welche zu erkennen nur dem Philosophen gegeben ist. Derart wurde der Kunst nicht nur die Wahrheitsfähigkeit abgesprochen, sondern vor allem die Fähigkeit und ihr eigentlicher Charakter, mehr sichtbar zu machen als zu sehen ist.
So
bestürzend es für die Idealisierer der Antike klingen mag, erst
mit dem Ende der Antike kam es zu einem Wiedererwachen der Kunst, und zwar
zu einem Wiedererwachen der Kunst im Religiösen. Hier erst befreite sich
das Geistige in der Kunst von der Reduzierung auf Mimesis und Schönheit.
Es ist wagehalsig, gewiß, aber unabdinglich, die Frage laut werden zu
lassen, inwiefern es vielleicht gar nötig war, daß das an Wunder
grenzende Können des antiken Kunsthandwerks zunächst noch einmal
verlernt wurde, um das Geistige in der Kunst wieder zum Vorschein kommen zu
lassen. Ideal und Schönheit hatten zu lange geblendet, um den Nuancen
des Undarstellbaren noch gerecht zu werden. Erst in der Renaissance, als das
Geistige im Übersinnlichen des Bildes unauslöschbar geworden war,
gelang es dann endlich, Schönheit und Mimesis nicht mehr nur als leere
Maske aufzuziehen, sondern in geradezu literarischen Konstellationen in Bewegung
zu setzen, so daß aus den Spannungsverhältnissen der im Bild aufgehaltenen
Aktion das Geistige sich Durchbruch im Schimmern der Weltgeschichten verschaffte.
Hans Belting
Das echte Bild- Bildfragen als Glaubensfragen
C.H. Beck Verlag 2005, 240 Seiten, gebunden, 29,90 Eur, ISBN 3406534600