Was ist so schlimm an den Bildern?
Dresdner Vortrag
von Jan Assmann
1. Das Bilderverbot – das seltsamste Gebot der Bibel.
Das Bilderverbot ist das seltsamste
Verbot des Dekalogs. Alles andere ist klar verständlich: daß
man keine anderen Götter anbeten, den Namen Gottes nicht mißbrauchen,
den Sabbat heiligen, Vater und Mutter ehren, nicht töten, nicht
ehebrechen, nicht stehlen, nicht falsches Zeugnis ablegen und nicht
begehren soll, das leuchtet sofort ein und ist ja auch bei uns bis
heute wenn nicht gängige Praxis, dann zumindest gängige
Theorie. Für die meisten dieser Verbote finden sich auch außerhalb
der Bibel Parallelen. Das gilt vor allem für die Verbote 4-10,
also Vater und Mutter ehren, nicht töten, nicht ehebrechen, nicht
stehlen, nicht falsches Zeugnis ablegen und nicht begehren. All das
steht im Zentrum z.B. der ägyptischen Ethik und vor allem der
Totenapologie oder Reinigungsbeichte, die nach ägyptischem Glauben
jeder Verstorbene vor einem Totengericht abzulegen hatte. Andere Gebote
wie etwa keine anderen Götter anzubeten, darf man zwar in einer
polytheistischen Religion wie der altägyptischen nicht erwarten,
verstehen sich aber in einer monotheistischen von selbst. Das alles
läßt sich also gut verstehen, aber was ist so schlimm an
den Bildern, daß Gott sie verbieten muß, und zwar ganz
vorn, gleich hinter dem Fremdgötterverbot? Das ist das Rätsel,
über das ich heute sprechen will.
Zunächst gilt es freilich, das Rätsel als solches wieder
freizulegen. Nach zwei-, dreitausend Jahren des Lebens mit der Bibel
ist uns auch das Bilderverbot selbstverständlich geworden. Natürlich,
so meinen wir, geht es darum, das Undarstellbare nicht darzustellen,
das Unvorstellbare sich nicht vorzustellen, das Unendliche nicht mit
Endlichem und das Unvergängliche nicht mit Vergänglichem
zusammenzubringen. Es geht also um negative Theologie. Über den
verborgenen Gott läßt sich nichts Positives aussagen. Davon
steht aber nichts in der Bibel. Nichts liegt den biblischen Texten
ferner als negative Theologie. Im Gegenteil, die Texte vermitteln
eine sehr lebendige Vorstellung von Gott, sie rufen zu Gottesfurcht
und Gottesliebe auf und preisen die Heilstaten eines persönlichen
Gottes, der sich aufs Intensivste auf die Welt und die Menschen einläßt.
Was aber, wenn nicht negative Theologie, die Nichtdarstellung des
Undarstellbaren, kann dann der Sinn des Bilderverbots sein?
Zunächst gilt es zwei Punkte zu klären, die mit diesem rätselhaften
Verbot verbunden sind: erstens die Frage der Zählung: handelt
es sich hier eigentlich um das zweite oder um einen Teil des ersten
Gebots? Zweitens die Frage nach den Bildern selbst: an was für
Bilder ist hier gedacht: an Bilder Gottes? Daß man Gott nicht
abbilden soll, weil er unsichtbar und unabbildbar ist? Oder an Götterbilder?
Daß man sich keine Bilder anderer Götter aufstellen soll?
Oder schließlich an Bilder überhaupt: daß man gar
nichts abbilden soll? In beiden Punkten ist die Bibel selbst schon
vieldeutig.
Zur Frage der Zählung
ist zu sagen, daß der Dekalog zweimal vorkommt in der Bibel,
einmal im Buche Exodus und ein anderes Mal im Deuteronomium. In der
Exodusfassung bildet das Bilderverbot ein eigenes, also das zweite
Gebot, im Deuteronomium gehört es zum ersten Gebot, dem Gebot
der Anbetung des Einen Gottes dazu. Hier sind Fremdgötter- und
Bilderverbot nur Kommentar. Weil aber auch hier die Zehnzahl angestrebt
wird, muß diese Fassung das Begehrensverbot aufspalten in Nr.9:
Das Weib eines anderen nicht begehren und Nr. 10: sein Haus und seinen
Hof nicht begehren. Darauf beruht auch die katholische und die lutherische
Fassung der 10 Gebote, die auf das Deuteronomium zurückgehen,
während die orthodoxe, reformierte und anglikanische Version
auf der Exodusfassung basieren.
Das Bilderverbot erscheint also in der Bibel in zwei Formen: als eigenes,
und zwar zweites Gebot in der Exodus-Fassung, und als Teil des Ersten
Gebots in der deuteronomistischen Fassung. Als Teil des ersten Gebots
unterstreicht es die Exklusivität der Jahweh-Verehrung. Man soll
keine anderen Götter anbeten und sich keine Bilder machen, das
heißt Bilder anderer Götter. Als eigenes Gebot bringt es
einen neuen, eigenen Gedanken zum Ausdruck. Man soll erstens nur Jahweh
und keine anderen Götter verehren, und man soll sich zweitens
keine Bilder machen. Das schließt auch Bilder von Jahweh ein.
Beim Bilderverbot geht es also sowohl um das Verbot der Verehrung
anderer Götter, als auch um das Verbot, den wahren Gott im Bild
darzustellen. In unseren Augen sind das zwei ganz verschiedene Dinge.
Im ersten Fall handelt es sich um Treue und Apostasie, im zweiten
um die richtige und die falsche Form der Gottesverehrung. Das erste
ist eine politische, das zweite eine Medienfrage. Beide Aspekte gehen
im Bilderverbot von Anfang an zusammen.
a) Bilder anderer Götter
Gehen wir zunächst dem ersten Aspekt nach, also dem Bilderverbot
als Teil des Fremdgötterverbots. Dieser Aspekt wird im Dekalog
selbst, und zwar in beiden Fassungen, Exodus und Deuteronomium, durch
einen kommentierenden Zusatz stark unterstrichen:
20:4 Du sollst dir kein Gottesbild
machen und keine Darstellung von irgend etwas am Himmel droben, auf
der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.
20:5 Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und
dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein
Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind,
verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der
dritten und vierten Generation;
20:6 bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise
ich Tausenden meine Huld. 5:8 Du sollst dir kein Gottesbildnis machen,
das irgend etwas darstellt am Himmel droben, auf der Erde unten oder
im Wasser unter der Erde.
5:9 Du sollst dich nicht vor
anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen
zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger
Gott: Bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter
an den Söhnen und an der dritten und vierten Generation;
5:10 bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise
ich Tausenden meine Huld.
Daraus läßt sich nur ein Schluß ziehen: Bilder sind eo ipso fremde Götter. Es geht hier also nicht darum, kein Bild von Gott selbst anzufertigen, weil Gott unabbildbar ist, sondern es geht um Bilder anderer Götter. Das Bild wird kritisiert, nicht etwa weil es ohnmächtig ist, unfähig, den wahren Gott abzubilden, sondern weil es allzu mächtig ist, weil es immer schon andere Götter repräsentiert, ganz egal, was es darstellt. Am klarsten bringt diesen Sinn des Bilderverbots vielleicht Arnold Schönberg zum Ausdruck in einer Notiz zu seiner Oper Moses und Aron, in der es zentral um das Bilderverbot geht: „Ein falscher Gott ist in allem enthalten, das uns umgibt, er kann so aussehen wie alles, er entspringt allem, alles entspringt ihm; er ist wie die ganze umgebende Natur und diese ist in ihm, wie in allem enthalten. Dieser Gott ist der Ausdruck einer Naturverehrung und setzt jedes Lebewesen Gott gleich.“ Etwas abbilden, heißt, es vergötzen, es zum Objekt anbetenden Begehrens zu machen. Wer sich Bilder macht, das heißt, Objekte, die etwas darstellen, der tut das, um sich vor ihnen niederzuwerfen und ihnen zu dienen. Schauen wir uns das Gebot im genauen Wortlaut an:
lo ta-assäh lekha pessel we-kol temunah
„Du sollst Dir kein pessel
und keinerlei temunah anfertigen“. Was ist ein pessel? Das Wort
pessel stellt den Herstellungsvorgang in den Vordergrund. Es ist von
einem Verb abgeleitet, das „behauen, schnitzen“ heißt.
Ein pessel ist ein „Machwerk“, kein Bild. Zum Bild, das
etwas darstellt, im Sinne von Mimesis, wird es erst durch den Zusatz:
„und keinerlei temunah“ in der Exodusfassung und in der
Deuteronomiumsfassung, ohne das „und“: „d.h. keinerlei
temunah“: „kein Schnitzwerk in Gestalt irgendeiner Figur
von etwas im Himmel oben und auf der Erde unten und im Wasser unter
der Erde., d.h. kein figürliches pessel, kein pessel, das etwas
darstellt. Das Wort pessel betont das handgemachte, der Zusatz temunah
die Bildbeziehung auf etwas Innerweltliches, Lebendiges. Man soll
sich keinen figürlichen Fetisch machen.
Dieses Verbot wird durch zwei kommentierende Zusätze erläutert:
Erstens: „Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen
und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen.“ Damit wird eindeutig
klargestellt: Ein figürliches pessel ist ein Gott, vor dem man
sich niederwirft und dem man dient. Zu anderen Zwecken wird ein figürliches
pessel nicht hergestellt. Ein figürliches pessel ist kein Kunstwerk,
kein ästhetisches Objekt interesselosen Wohlgefallens, sondern
funktioniert allein als Gegenstand anbetenden Begehrens. Wer sich
ein figürliches pessel macht, der macht sich einen anderen Gott.
Mehr noch: der macht sich einem fremden Gott dienstbar. Das Wort „dienen“,
cabad, ist hier ganz wörtlich zu nehmen. cäbäd ist
der Sklave. Idolatrie heißt nachbiblisch Avodah zarah, „fremder
Dienst“, Sklaverei in fremden Diensten. Der Zusatz läßt
aber auch die Deutung zu, daß Bilder solange harmlos und erlaubt
sind, als man sie nicht anbetet und ihnen nicht sklavisch dient. Das
kann man so oder so verstehen; der Islam hat es eher strikt ausgelegt,
während das Judentum im Rahmen harmloser Dekoration figürliche
Bilder zugelassen hat.
Der zweite Kommentar spricht von Gottes Eifersucht: „Denn ich,
der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen,
die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den
Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die
mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine
Huld.“ Das Bild ist also der Prüfstein für Gottes
Unterscheidung zwischen Freund und Feind. Bildverehrer sind Gottes
Feinde: an ihnen rächt er die Missetat bis ins dritte und vierte
Glied. Wer sich aber an das Bilderverbot hält, also keine anderen
Götter anbetet und Gott treu bleibt, der ist sein Freund und
wird für seine Treue bis ins tausendste Glied belohnt.
Das Bilderverbot polarisiert die Welt in Freund und Feind. Bei keinem
anderen Gebot wird dieser Zusatz von Freund und Feind gemacht. Man
erregt nicht Gottes Eifersucht und wird nicht zum Gottesfeind, wenn
man den Namen mißbraucht, den Sabbat nicht heiligt, Vater und
Mutter nicht ehrt, tötet, hurt, stiehlt, lügt und begehrt.
Das sind zwar todeswürdige Verbrechen. Dennoch eignen sich diese
Gebote nicht zur Polarisierung der Welt. Die Welt läßt
sich nicht einteilen in Mörder und Nichtmörder, Ehebrecher
und treue Ehepartner. Entsprechendes gilt für alle anderen Gebote.
Sie läßt sich aber einteilen in Bildverächter und
Bildverehrer, Jahweh-Treue und Apostaten. An der Bildfrage zeigt sich
deutlicher als an allen anderen Geboten, wer zu Gott steht und wer
nicht. Daher ist das Bilderverbot der Inbegriff oder die Signatur
des Monotheismus. Der Monotheismus zieht eine Grenze zwischen sich
und den anderen Religionen, die er als Heidentum ausgrenzt. Das Bilderverbot
definiert dieses ausgegrenzte Heidentum als Götzendienst, Idolatrie.
Wer sich Bilder macht, stellt sich auf die Seite der Götzendiener
und damit automatisch gegen Gott.
Die Unterscheidung zwischen Freund und Feind polarisiert die Welt.
Hier gilt es, sich zu entscheiden. Wer nicht für Gott ist, ist
gegen ihn: Entweder/Oder. Wer die Welt in Freund und Feind polarisiert,
mobilisiert Gewaltbereitschaft. Auf der politischen Bühne haben
wir das vor einem Jahr im Vorfeld des Irak-Krieges erlebt. Die Polarisierung
der Welt war Teil der Bush-Politik. Wer nicht für uns ist, ist
gegen uns. Wer nicht mit in den Krieg zieht, unterstützt Saddam
Hussein. Wer sich dieser Aktion verweigert, wird als Feind betrachtet.
Das gilt auch auf der religiösen und theologischen Ebene, denn
eben diese Gewaltbereitschaft schwingt in dem hebräischen Wort
qana „eifersüchtig“ mit. Ein eifersüchtiger
Gott schlägt zu im Falle erwiesener Untreue.
Diese Gewalt heißt biblisch „eifern“, qana, dasselbe
Wort wie Gottes „Eifersucht“. Eifern heißt mit Gewalt
vorgehen, notfalls töten, vernichten, auslöschen. So wie
Gott sollen auch die Menschen für das Gesetz eifern. Daher heißt
es im Deuteronomium mit Bezug auf die Götzendiener: schließe
keinen Vertrag mit ihnen und verschone sie nicht (lo tekhanem). Das
Vorbild solchen Glaubenseifers ist Pinchas, der seinen Landsmann Zimri
mit seiner midianitischen Geliebten im Liebesakt durchbohrt. Dies
Vorbild vor Augen hat Jehuda Makkabi im Widerstandskrieg gegen Antiochus
IV Epiphanes das Leben ganzer hellenisch assimilierter Städte
ausgelöscht. Das griechische Äquivalent von qana ist zeloun
und zelos, eifern und Eifersucht, davon die Zeloten, und das arabische
Äquivalent ist natürlich dhihad. Die religiöse Unterscheidung
zwischen Freund und Feind, die sich mit dem Bilderverbot verbindet,
ist immer noch und vielleicht mehr denn je virulent.
Die Gewalt, die hier mobilisiert wird, trifft nicht nur die Anderen,
sondern auch und gerade die eigene Gruppe, sie wirkt nach innen und
nach außen. Das Bilderverbot legitimiert den Brudermord, es
stellt Jahwehtreue über alle anderen sozialen Bindungen.
Der Text, der diesen Punkt klarstellt, ist die Geschichte des Goldenen
Kalbes. Als Mose auf den Sinai gestiegen war, um dort aus Gottes Hand
die Gesetze zu empfangen, und bereits 40 Tage ausgeblieben war, verlor
das Volk die Hoffnung, ihn lebend wiederzusehen und verlangte von
Aaron Ersatz.
Als das Volk sah, daß
Mose noch immer nicht vom Berg herabkam, versammelte es sich um Aaron
und sagte zu ihm: Komm, mach uns Elohim, die vor uns herziehen. Denn
dieser Mose, der Mann, der uns aus Ägypten heraufgebracht hat
- wir wissen nicht, was mit ihm geschehen ist.
Aaron antwortete: Nehmt euren Frauen, Söhnen und Töchtern
die goldenen Ringe ab, die sie an den Ohren tragen, und bringt sie
her!
Da nahm das ganze Volk die goldenen Ohrringe ab und brachte sie zu
Aaron.
Er nahm sie von ihnen entgegen, formte das Gold in einer Gußform
und goß daraus ein Kalb. Da sagten sie: Das sind deine Götter,
Israel, die dich aus Ägypten heraufgeführt haben.
Das Goldene Kalb ist übrigens kein pessel, kein Schnitzwerk, sondern eine massekhah, ein Gußwerk. So wie pessel von einem Verb „behauen“ ist massekha von einem Verb mit der Bedeutung „gießen“ abgeleitet. Die Geschichte geht bekanntlich sehr übel aus:
Als Mose dem Lager näher
kam und das Kalb und den Tanz sah, entbrannte sein Zorn. Er schleuderte
die Tafeln fort und zerschmetterte sie am Fuß des Berges. Dann
packte er das Kalb, das sie gemacht hatten, verbrannte es im Feuer
und zerstampfte es zu Staub. Den Staub streute er in Wasser und gab
es den Israeliten zu trinken. (19-20)
Mose trat an das Lagertor und sagte: Wer für den Herrn ist, her
zu mir! Da sammelten sich alle Leviten um ihn. Er sagte zu ihnen:
So spricht der Herr, der Gott Israels: Jeder lege sein Schwert an.
Zieht durch das Lager von Tor zu Tor! Jeder erschlage seinen Bruder,
seinen Freund, seinen Nächsten. Die Leviten taten, was Mose gesagt
hatte. Vom Volk fielen an jenem Tag gegen dreitausend Mann. (26-28)
Diese Geschichte macht ganz
deutlich, auf wen die Freund/Feind-Unterscheidung angewendet wird.
Sie trennt nicht „Wir“ und „Sie“, sondern
schneidet mitten durch die eigene Gruppe und trennt Brüder, Freunde,
Nächste. Im Licht dieser Unterscheidung gibt es keine natürlichen
Bindungen mehr. An der Bilderfrage scheiden sich Freund und Feind.
Das Bilderverbot erweist sich damit als das Gebot der Gebote, das
Kernstück des Kernes, das die 10 Gebote bilden unter den 613
Geboten und Verboten der Torah. Wer Bilder verehrt, bricht den Bund,
den Gott durch das Gesetz mit Israel geschlossen hat. Das macht Mose
symbolisch deutlich, indem er die Tafeln des Bundes zerbricht.
Was ist so schlimm an den Bildern? Sie versklaven uns fremden Mächten.
Gegen Bilder wäre nichts einzuwenden, wenn die Welt nicht voller
solcher Mächte wäre. Das Bilderverbot setzt eine verzauberte
Welt voraus und betreibt ihre Entzauberung. In einer Welt voller Götter
stellen die Bilder eine Beziehung zu ihnen her, vergegenwärtigen
sie. Warum macht man sich Bilder? Um diesen Göttern zu dienen.
Warum dient man diesen Göttern? Um sie sich dienstbar zu machen.
Bilder sind Götter, denen man dienen muß. Paulus schreibt
den Galatern: „Einst, als ihr Gott noch nicht kanntet, wart
ihr Sklaven der Götter, die in Wirklichkeit keine sind.“
Bilder sind Götter, aber falsche Götter. Wer sich von den
Bildern lossagt, wer die Bilder zerstört, befreit sich von den
falschen Göttern dieser Welt. Monotheismus bedeutet Weltentzauberung,
Aufklärung im strengen Kant’schen Sinne als Ausgang des
Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Idolatrie
ist nichts anderes als selbstverschuldete Unmündigkeit, nämlich
Selbstversklavung an die Mächte dieser Welt, eben avodah zarah,
„fremder Sklavendienst“.
Daher kämpft der Monotheismus gegen die Bilder an. Sein Ziel
ist die Befreiung des Menschen aus der selbstversklavenden Verstrickung
in die eingebildeten Mächte einer verzauberten Welt. Seine Waffe
ist die Satire. Die biblische Religions-Satire beruht auf der altorientalischen
Gattung der Berufssatire. Deren Verfahren besteht darin, bestimmte
berufsspezifische Tätigkeiten als ein zielloses, absurdes Treiben
darzustellen, das zu nichts nütze ist und nur ermüdend,
verunreinigend und verunstaltend auf den derart Tätigen zurückwirkt
und ihn dadurch aus der Gemeinschaft und ihren Wertordnungen sinnvollen
sozialen Handelns ausschließt. Die beschriebene Tätigkeit
oder Handlungsweise wird dadurch komisch verfremdet, daß von
bestimmten Voraussetzungen, die ihre Sinnhaftigkeit ausmachen, bewußt
abgesehen wird. Die Berufssatire blendet den sinngebenden Rahmen der
sozialen Arbeitsteilung aus, die Religionssatire die Sinnvorstellungen
der Bildreligion. Hier wird z.B. von der Tatsache abgesehen, daß
ein Stück Holz natürlich niemals eo ipso als Götterbild
angebetet werden kann, sondern erst einer umständlichen Weihezeremonie
unterzogen werden muß, die es mit der Götterwelt in Verbindung
bringt und zur zeitweiligen Aufnahme göttlicher Beseelung zubereitet.
Die Reduktion des Kultbilds, das nur im Zusammenhang einer hochkomplexen
Semiotik als solches „funktioniert“, auf seine bloße
Materialität, ist ein verfremdender Trick, der alle Handlungen,
die sich auf es beziehen, in das Licht des Absurden stellt. Ich zitiere
nur einige Verse aus dem berühmtesten Beispiel, dem 44. Kapitel
des Buches Jesaja:
Wer sind sie, die einen Gott
machen
und einen Götzen gießen, der nichts nütze ist?
(...)
Der Schmied macht ein Messer in der Glut und formt es mit Hammerschlägen.
Er arbeitet daran mit der ganzen Kraft seines Arms;
dabei wird er hungrig, so daß er nicht mehr kann,
und trinkt auch kein Wasser, so daß er matt wird.
Der Zimmermann (...) hatte Fichten gepflanzt und der Regen ließ
sie wachsen.
Das gibt den Leuten Brennholz, davon nimmt er und wärmt sich;
(...) Die Hälfte verbrennt er im Feuer,
(...) und den Rest macht er zu einem Gott,
zu einem Bilde, und kniet vor ihm,
und wirft sich nieder und fleht zu ihm:
Rette du mich, denn du bist mein Gott!'
(...) Man überlegt sich’s nicht, hat weder Einsicht noch
Verstand,
dass man dächte: Die Hälfte habe ich im Feuer verbrannt
und auf den Kohlen Brot gebacken, Fleisch gebraten und gegessen.
Aus dem Rest aber habe ich mir einen abscheulichen Götzen (tocebah)
gemacht
und nun knie ich vor dem Holzklotz.' (Jes 44, 9-19)
Weitere prominente Beispiele
sind Jeremia Kap. 10 und Psalm 115. Es würde zu weit führen,
sie hier zu zitieren, geschweige denn die langen Kapitel, die das
apokryphe Buch der Weisheit Salomos den Götzendienern widmet.
Der Punkt, auf den es mir hier ankommt, ist, daß die Mächte,
die in den Bildern zur Erscheinung gebracht werden, eingebildete Mächte
sind. Was ist so schlimm an den Bildern? Sie verstricken den Menschen
in seine eigenen Einbildungen.
Bilder sind andere Götter, daher machen sie Gott eifersüchtig;
aber diese anderen Götter sind eingebildete Götter. Sie
werden erst eingebildet und dann abgebildet. Das ist, um es noch einmal
zu betonen, eine bewußt polemische und satirische Verfremdung
des altorientalischen Bildkults. Dazu wäre von ägyptologischer
und assyriologischer Seite viel zu sagen. Uns geht es hier aber nicht
um eine Apologie des Bildes. Wir wollen das Bilderverbot verstehen.
In erster Annäherung können wir also feststellen: dem Bilderverbot
geht es um die Entgötterung oder Entgötzung oder Entzauberung
der Welt und um die Befreiung des Menschen aus der Knechtschaft der
eingebildeten Mächte.
b) Bilder Gottes
Nun aber zum anderen Sinn des Bilderverbots, dem Verbot, Gott selbst
abzubilden. Hier geht es nicht mehr um Treue und Untreue, Freund und
Feind, Eifersucht und andere Götter. Gott kann ja nicht auf sein
eigenes Bild eifersüchtig sein. Warum darf man Gott nicht abbilden?
Hierauf gibt die Bibel selbst eine Antwort. Im Deuteronomium, Kap.
4, 15ff. erinnert Mose das Volk an die Offenbarung Gottes am Berge
Horeb:
Nehmt euch um eures Lebens
willen gut in acht! Denn ihr habt keinerlei Gestalt (kol-temunah)
gesehen an dem Tag, als der Herr am Horeb mitten aus dem Feuer zu
euch sprach. Lauft nicht in euer Verderben, und macht euch kein figürliches
Götzenbild (pessel temunah), keine Statue (samäl), kein
Abbild (tabnit) eines männlichen oder weiblichen Wesens, kein
Abbild irgendeines Tiers, das auf der Erde lebt, kein Abbild irgendeines
gefiederten Vogels, der am Himmel fliegt, kein Abbild irgendeines
Tiers, das am Boden kriecht, und kein Abbild irgendeines Meerestieres
im Wasser unter der Erde.
Wenn du die Augen zum Himmel erhebst und das ganze Himmelsheer siehst,
die Sonne, den Mond und die Sterne, dann laß dich nicht verführen!
Du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen und ihnen nicht dienen.
Hier geht es nun ganz entschieden
um die Medienfrage. Wort, nicht Bild; Hören, nicht Schauen: das
sind die Medien der Gottesverehrung und Gotteserkenntnis.
Nun ist aber die Unterscheidung, die wir hier treffen zwischen Bildern
anderer Götter und Bildern des wahren Gottes vollkommen müßig
und überflüssig. Sie ergibt sich nur im Horizont des modernen
Denkens. Diese Unterscheidung läßt sich nämlich gar
nicht an irgendwelchen objektiven Beschaffenheiten des Bildes festmachen,
sondern beruht allein auf seinem subjektiv gemeinten Sinn. Was beabsichtigten
die Bildermacher? Wollten sie Jahweh darstellen oder einen anderen
Gott? Genau davon wird aber in der Bibel völlig abgesehen. In
der Geschichte vom Goldenen Kalb wollten die Israeliten ja keineswegs
von Jahweh abfallen und sich anderen Göttern zuwenden. Sie wollten
nur Ersatz für Mose schaffen, der für sie die Verbindung
zu Gott hergestellt und sie angeführt hatte. Was dabei herauskam,
war ein anderer Gott. Da man Gott nicht abbilden kann, weil man nicht
weiß wie er aussieht, weil man auch bei seiner Offenbarung nur
eine Stimme gehört hat, darum ist jedes Bild automatisch ein
anderer Gott. Was ist so schlimm an den Bildern? Weil dabei immer,
ob man will oder nicht, ein anderer Gott herauskommt.
Es geht also nicht um negative Theologie, darum, daß man einen
unsichtbaren Gott nicht abbilden kann, daß jedes Bild zu kurz
greift, daß Gott jenseits aller Vorstellung und daher auch Darstellung
verbleibt. Das würde ebenso auch für sprachliche Darstellungen
gelten. Das Bild wird nicht gegenüber der Unabbildbarkeit Gottes
verworfen, sondern gegenüber seinem Wort. Die Bilder müssen
verschwinden, um seinem Wort, der Torah, Platz zu machen. Das meine
ich mit dem Begriff der Medienfrage. Was ist so schlimm an den Bildern?
Daß sie dem Wort im Wege stehen. Es geht nicht nur darum, die
Welt zu entbildern und zu entzaubern, sondern vor allem darum, etwas
anderes an ihre Stelle zu setzen: die Torah. Die Torah ersetzt die
Bilder, macht sie überflüssig. Wo Bild war, soll Torah werden.
Wo Bild ist, kann Torah nicht sein.
Hier werden die Bilder verworfen als der falsche Weg zugunsten des
richtigen Weges. Der richtige Weg ist das Gesetz, und das Wort, dabar,
das es formuliert. Der Dekalog, die zehn Gebote, heißt hebräisch
„die zehn Worte“, das Zehnwort. Weil es das Wort gibt,
haben die Bilder abzudanken. Weil man auf Gottes Wort hören kann
und hören soll, dürfen keine Bilder dazwischen treten. An
die Stelle der Schau, der Kontemplation, tritt das Hören, Lesen,
Lernen und Auslegen. Tag und Nacht soll man die Torah studieren. Wer
die Gesetze hält, wendet sich von der Welt ab und lebt als ein
Fremder auf Erden. So heißt es in Psalm 119 Vers 19: „Ich
bin ein Fremder auf Erden: verbirg deine Gesetze nicht vor mir“.
Die Zuwendung zum Wort erzwingt die Abwendung von der Welt und ihren
Bildern. Die Torah tritt an die Stelle des Kultbilds, Wortgottesdienst
an die Stelle des Bildkults. Wo Gott spricht bzw. gesprochen hat,
haben die Bilder zu verschwinden. Der Bilder bedienen sich andere
Götter als des ihnen angemessenen Mediums, um mit den Menschen
in Kontakt zu treten, oder umgekehrt: andere Völker bedienen
sich der Bilder zum Umgang mit ihren Göttern. Der Gott Israels
aber will, daß auf sein Wort – das heißt: sein Gesetz
- gehört wird. Mit anderen Worten: er will nicht Kult, sondern
Gerechtigkeit.
Was heißt Torah? Was wird hier an die Stelle der Bilder gesetzt? Das Gesetz, d.h. Gerechtigkeit, d.h. Gottes- und Nächstenliebe. Aus der Gegenüberstellung von Bildkult und Torah ergibt sich für das Judentum, daß, wo Bilder verehrt werden, kein Gesetz, keine Zucht und Ordnung, keine Gerechtigkeit, Treue und Liebe herrschen, sondern Unzucht, Ehebruch, Hurerei, Mord und Totschlag, Lügen, Stehlen, Begehren. Hören wir, was die apokryphe Weisheit Salomos zu den Götzendienern zu sagen hat:
denn entweder töten sie
ihre Kinder zum Opfer
oder kommen zu Gottesdiensten zusammen, die sie geheimhalten müssen,
oder feiern wilde Gelage nach absonderlichen Satzungen
und halten so weder ihren Wandel noch ihre Ehen rein,
sondern einer tötet den anderen mit List oder kränkt ihn
durch Ehebruch;
und überall herrschen ohne Unterschied Blutvergießen, Mord,
Diebstahl, Betrug, Schändung, Untreue, Streit, Meineid, Beunruhigung
der Guten, Undank, Befleckung der Seelen, widernatürliche Unzucht,
Zerrüttung der Ehen, Ehebruch und Ausschweifungen.
Denn den namenlosen Götzen zu dienen, das ist Anfang, Ende und
Ursache alles Bösen (Sap.Sal. 14. 23-27).
Diese groteske Verunglimpfung des Heidentums ist mit ihrer Schwarz-Weiß-Malerei nichts als die konsequente Ausgestaltung der Freund/Feind-Unterscheidung, die schon der Dekalog mit dem Bilderverbot verbindet. In dieser Konstruktion stehen sich Torah und Bildkult gegenüber. Und weil die Idee der Gerechtigkeit die Mitte und den Inbegriff der Torah bildet, ergibt sich, daß den Bildverehrern jede Idee von Gerechtigkeit und jede ethische Orientierung abgeht. Was ist so schlimm an den Bildern? Daß sie zum Bösen anleiten. Sie konstituieren einen Raum ethischer Umnachtung. Wer Bilder verehrt, und wir wissen inzwischen, daß es sich dabei um bildgewordene Einbildungen handelt, kennt die Gerechtigkeit nicht, auf die man nur hören, nicht blicken kann.
So hat es auch die außerjüdische
Antike verstanden. Eine ganz ähnliche Darstellung der mosaischen
Revolution findet sich z. B. bei Strabo (1.Jh.v.Chr.). Ihm zufolge
beschließt ein ägyptischer Priester namens Moses, aus Unzufriedenheit
mit der ägyptischen Religion das Land zu verlassen und mit vielen
Gleichgesinnten nach Judäa auszuwandern. Seine Lehre besteht
in der Erkenntnis, daß "jenes Eine Wesen Gott sei, welches
uns alle und Erde und Meer umfaßt, welches wir Himmel und Erde
und Natur der Dinge nennen.“ Diese Gottheit könne kein
Bild wiedergeben. "Man müsse vielmehr alles Bildnismachen
unterlassen und die Gottheit verehren ohne Bildnis.“ Worauf
es allein ankommt, um Gott nahe zu kommen, sei, "tugendhaft und
in Gerechtigkeit zu leben.“ Der Gott Moses’ will keine
blutigen Opfer und orgiastischen Tänze; was er fordert, ist Gerechtigkeit.
Der entscheidende Punkt in Strabos Darstellung ist die Verbindung
von Bildlosigkeit und Gesetz. Damit hat er genau getroffen, worum
es im Deuteronomium geht. Die Bilder müssen verschwinden, wo
Gott sich im Wort des Gesetzes offenbart.
Wie steht es nun mit dem Christentum, das sich vom jüdischen
Gesetz losgesagt und zu den Bildern zurückgekehrt ist: sind hier
die Bilder wieder an die Stelle der Torah gesetzt worden, bedeutet
das Christentum, wie etwa Sigmund Freud es sah, eine Rückkehr
nach Ägypten? Nein: das Christentum setzt nicht die Bilder, sondern
etwas ganz Neues an die Stelle der Torah, eine neue Offenbarung, die
die alte aufhebt. Das ist die Idee der Inkarnation. Und das Wort ward
Fleisch. Nach wie vor geht es um das Wort, aber in verwandelter Gestalt.
Die einzige Möglichkeit, das Gesetz zu überwinden, ist,
es zu verwandeln. Wo Torah war, soll Christus werden: telos tou nomou,
Ende, Erfüllung, Vollendung des Gesetzes. Das versteht sich als
ein Schritt nach vorn, und nicht als Rückkehr zu den Bildern
und zur verzauberten Welt. Es handelt sich dabei um eine Aufhebung
im Hegelschen Sinne. Die Quintessenz der Torah: Gottes- und Nächstenliebe
wird beibehalten. Diese Quintessenz wird aber jetzt mit anderen Mitteln
praktiziert: nicht mit denen des Gesetzes, der Verfassung, und damit
der Ausgrenzung aus den Völkern, sondern mit den Mitteln des
Glaubens und der Gnade. Das neue Zeitalter, wie Augustinus es charakterisiert
gegenüber der alten Zeit sub lege, heißt: sub gratia,.
Hier stehen sich also nicht mehr Bild und Gesetz gegenüber, sondern
Gesetz und Gnade. Gratia heißt aber nicht nur Gnade, Vergebung,
sondern auch Anmut. Im Zeichen einer versöhnten Welt darf es
auch wieder Bilder geben. An die Stelle einer Kultur des Wortes, des
Gesetzes-Wortes, tritt eine Kultur der Gnade, Anmut, Versöhnung,
die allen Menschen widerfahren soll. In dieser Kultur ist nichts mehr
schlimm an den Bildern. Der paulinische Kampfbegriff heißt bekanntlich
„Geist“. Geist gegen Schrift, gegen den Buchstaben des
Gesetzes. Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig. Von
den Bildern ist jetzt erst einmal nicht mehr die Rede. In der Torah
ist Gott hörbar, in Christus sichtbar geworden. Die Christen
haben nicht nur eine Stimme gehört, sondern eine Gestalt gesehen.
Mit dem Christentum nimmt der biblische Monotheismus einen iconic
turn, von der jüdischen Wortkultur zur hellenistischen Bildkultur.
2. Bildkultur und Wortkultur
Nun hat aber das Christentum das Alte Testament beibehalten und die
Zehn Gebote in das Zentrum auch seiner Ethik und Rechtsprechung gestellt.
Damit blieb eigentlich auch das Bilderverbot in Kraft. Daher steht
die ganze abendländische Geschichte unter der Spannung zwischen
Wortkultur und Bildkultur. Das Pendel schlägt mal in der einen,
mal in der anderen Richtung aus. Nachdem sich im 4. bis 7. Jh. die
christliche Welt mit Bildern angefüllt hatte und der Ikonenkult
im Osten aufgeblüht war, brach im 8. Jh. Byzanz der berühmte
100jährige Bilderstreit aus, der teilweise die Form eines Bürgerkriegs
annahm. Er endete mit dem Sieg der Bilder. Der Protestantismus bedeutet
wieder eine Wende von der Bildkultur zur Wortkultur. Er setzt auf
Wort und Schrift, verstehenden Gehorsam und inneren Nachvollzug, fördert
den Buchdruck, die Übersetzung der heiligen Texte in die Volkssprachen,
die Predigt, um das „hörende Herz“ zu erreichen,
den inneren Menschen anzusprechen und nicht die äußeren
Sinne. Die Bilder werden aus den Kirchen entfernt, die prächtigen
Riten werden abgeschafft, die Religion übt visuelle Askese im
Interesse auditiver und interpretativer Intensität. Die Gegenreformation
wirft das Steuer wieder herum und bedeutet einen iconic turn sondergleichen.
Die Kirchen werden zu Galerien und Theatern, die Religion setzt alles
auf aesthetische Prachtentfaltung, um den Menschen durch die Überwältigung
aller äußeren Sinne zu Gott emporzureißen. Die bürgerliche
Aufklärung führt dann wieder eine Wende in der Gegenrichtung
herauf. Gegenwärtig, im Zeichen der Postmoderne, wird wieder
allgemein ein iconic turn ausgerufen.
Der amerikanische Historiker Carl Schorske hat in einer brillanten
Studie aufgezeigt, wie im Wien des 18. und 19. Jhs. zwei Kulturen
neben- und gegeneinander standen. Die eine beschreibt er als „a
rational culture of law and the word“, also eine rationale Kultur
des Gesetzes und des Wortes, die andere als „a plastic and sensuous
culture of grace“, eine formorientierte, sinnliche Kultur der
Gnade, Anmut und Schönheit. War ihm bewußt, daß er
mit law and grace die augustinische Unterscheidung von lex und gratia
wiederholt? Die sinnliche Anmuts- und Schönheitskultur des guten
Stils und der gelungenen Form hat ihren Ursprung im gegenreformatorischen
Barock, ihren Höhepunkt im maria-theresianischen Wien und ihren
bleibenden sozialen Ort in der Aristokratie, die rationale Kultur
des Rechts und des Wortes hat ihren Ursprung in der josephinischen
Aufklärung und ihren sozialen Ort im liberalen Bürgertum.
Schorske verfolgt diesen Gegensatz bis ins 20. Jahrhundert anhand
dreier Bühnenwerke, die eine Art Abgesang darstellen: Hofmannsthals
Der Turm (1926) als Abgesang auf die höfische Kultur des schönen
Stils, Karl Kraus’ Die letzten Tage der Menschheit (1926) als
Abgesang auf die Kultur von Recht und Wort und Arnold Schönbergs
Moses und Aron (1932) als Abgesang auf die angestrebte Synthese der
beiden Kulturen, wobei Aron natürlich für die gegenreformatorische
Schönheitskultur und Moses für die aufklärerische Wort-
und Gesetzeskultur stehen. Es fällt nicht schwer, dieses Kapitel
Wiener Kulturgeschichte in den größeren Zusammenhang der
abendländischen Kulturgeschichte einzugliedern und darin denselben
Konflikt wiederzuerkennen, der sie seit ihren spätantiken Anfängen
durchzieht und, wenn man Schönbergs genialer Konstruktion folgen
will, bis auf die Bibel, ja die Urszene und Ursprungskonstellation
des Monotheismus, das Brüderpaar Moses und Aaron zurückgeht.
Heinrich Heine bringt diesen Konflikt in seiner Börne-Denkschrift
auf folgende Formel:
Menschen sind entweder Juden oder Hellenen, Menschen mit asketischen, bildfeindlichen, vergeistigungssüchtigen Trieben oder Menschen von heiterem, entfaltungsstolzem und realistischem Wesen.“
Statt Juden oder Hellenen könnte man auch sagen: Wortmenschen oder Bildmenschen, Geistfreunde oder Schönheitsfreunde, oder, mit Carl Schorke zu reden, Anhänger einer normativen Wort-Kultur oder Anhänger einer aesthetischen Schönheits-Kultur. Interessant ist Heines Verbindung von Bilderfeindlichkeit und Vergeistigungssucht. Die Gegenüberstellung von Bild und Geist oder Sinnlichkeit und Geistigkeit erinnert unmittelbar an Freuds Konzept eines Fortschritts in der Geistigkeit. In seinem 1939 erschienenen Buch Der Mann Moses und die monotheistische Religion konstruiert Freud seinen Begriff eines Fortschritts in der Geistigkeit ganz ähnlich wie Heine in einer Gegenüberstellung von Juden und Griechen:
Der Vorrang, der durch etwa 2000 Jahre im Leben des jüdischen Volkes geistigen Bestrebungen eingeräumt war, hat natürlich seine Wirkung getan; er half, die Rohheit und die Neigung zur Gewalttat einzudämmen, die sich einzustellen pflegen, wo die Entwicklung der Muskelkraft Volksideal ist.
„Die Entwicklung der Muskelkraft“ wird zwar dem griechischen „Volksideal“ nicht ganz gerecht, spielt aber umso deutlicher auf das Volksideal der Nazizeit an, das in den olympischen Spielen von 1936 seine Triumphe feierte und in Deutschland in wachsendem Maße Roheit und Neigung zur Gewalttat freisetzte. Um auf die Griechen zurückzukommen, setzt er hinzu:
Die Harmonie in der Ausbildung geistiger und körperlicher Tätigkeit, wie das griechische Volk sie erreichte, blieb den Juden versagt.
Aber dann stellt er abschließend klar:
Im Zwiespalt trafen sie wenigstens die Entscheidung für das Höherwertige.
Auch Freud, der sein Moses-Projekt
1934, also in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu Schönbergs
Oper, begann, gehört natürlich das in das intellektuelle
Feld der von Schorske so meisterlich analysierten Wiener Moderne.
Ähnlich wie Schönberg reagierte auch Freud mit seiner Arbeit
über Moses auf die Erfahrung verschärfter antisemitischer
Verfolgungen.
In seinem Buch spielt das Bilderverbot eine zentrale Rolle. In diesem
Gebot erblickte er den entscheidenden Durchbruch in eine Welt der
Geistigkeit:
Unter den Vorschriften der Mosesreligion findet sich eine, die bedeutungsvoller ist, als man zunächst erkennt. Es ist das Verbot, sich ein Bild von Gott zu machen, also der Zwang, einen Gott zu verehren, den man nicht sehen kann. Wir vermuten, daß Moses in diesem Punkt die Strenge der Atonreligion überboten hat; vielleicht wollte er nur konsequent sein, sein Gott hatte dann weder einen Namen noch ein Angesicht, vielleicht war es eine neue Vorkehrung gegen magische Mißbräuche. Aber wenn man dieses Verbot annahm, mußte es eine tiefgreifende Wirkung ausüben. Denn es bedeutete eine Zurücksetzung der sinnlichen Wahrnehmung gegen eine abstrakt zu nennende Vorstellung, einen Triumph der Geistigkeit über die Sinnlichkeit, strenggenommen einen Triebverzicht mit seinen psychologisch notwendigen Folgen.
Die Verwerfung der Bilder, und nur sie, erschließt den Zugang in das Reich des Geistes. „Es eröffnete sich das neue Reich der Geistigkeit“. Freud verstand das 2. Gebot als Proklamation der schlechthinnigen Unsichtbarkeit und Unabbildbarkeit Gottes und zugleich als das Signum der jüdischen Auserwähltheit. Ähnlich hatte es schon Kant gesehen. Für Kant stellte das Bilderverbot den Inbegriff dessen dar, was er das Erhabene nannte:
"Vielleicht gibt es keine erhabenere Stelle im Gesetzbuche der Juden, als das Gebot: Du sollst dir kein Bildnis machen, noch irgendein Gleichnis, weder dessen was im Himmel, noch auf der Erde, noch unter der Erden ist usw. Dieses Gebot allein kann den Enthusiasm erklären, den das jüdische Volk in seiner gesitteten Epoche für seine Religion fühlte, oder auch denjenigen Stolz, den der Mohammedanism einflößt."
Die Befolgung dieses erhabensten aller Gebote erfüllt den Menschen mit Stolz und Enthusiasmus, mit dem Gefühl der Überlegenheit gegenüber den Bildanbetern. Freuds Ausführungen über das Bilderverbot als Triumph der Geistigkeit über die sinnlichkeit lesen sich wie ein Kommentar zu diesem Satz Kants. Für Freud geht es bei der monotheistischen Religion um „die Ablehnung von Magie und Mystik, die Anregungen zu Fortschritten in der Geistigkeit, die Aufforderungen zu Sublimierungen“ und den Prozeß „wie das Volk durch den Besitz der Wahrheit beseligt, überwältigt vom Bewußtsein der Auserwähltheit, zur Hochschätzung des Intellektuellen und zur Betonung des Ethischen gelangte.“
Freud sieht im Glauben an die
Auserwähltheit das Kernstück der jüdischen Identität.
Dieser Glaube und Stolz nährt sich in letzter Instanz aus dem
Bilderverbot und aus dem Triebverzicht, den es fordert. Das Bilderverbot
impliziert die drei Grundprinzipien der monotheistischen Religion,
wie Freud sie definiert: „die Idee eines einzigen Gottes, sowie
die Verwerfung des magischen Zeremoniells und die Betonung der ethischen
Forderung“. Wie wir gesehen haben, ist die Verbindung von Bilderverbot
und Ethik auf der einen, und von Idolatrie und Gesetzlosigkeit, Unzucht
und Gewalt auf der anderen Seite der biblischen Tradition tief eingeschrieben.
Die Propheten verwerfen (oder zumindest, relativieren) den Opferkult
und fordern als erstes Gerechtigkeit. Das Gesetz, und das heißt
hier: die Forderungen der Ethik, werden als Wille Gottes erklärt
und als das einzige Mittel dargestellt, ein gottgefälliges Dasein
zu führen. Freuds Begriff vom Fortschritt in der Geistigkeit
verknüpft Bilderverbot und Triebverzicht. Das Bilderverbot ist
Abkehr von der Sinnlichkeit und Hinwendung zur Geistigkeit.
Freud stellt die intellektuelle Wortkultur über die sinnliche
Bild- und Schönheitskultur. Im Übergang von der einen zur
anderen erblickt er einen Fortschritt, einen Fortschritt in der Geistigkeit,
eine kollektive Sublimationsleistung, einen menschheitlichen Schritt
in Richtung zu einer höheren Stufe des Erwachsenseins. Auf die
Frage „Was ist so schlimm an den Bildern?“ würde
er sagen, daß sie eine kulturelle Regression darstellen.
Die Moderne steht eindeutig im Zeichen der Wortkultur. In diesem Sinne stellt sich die Frage „Was ist so schlimm an den Bildern“ in einem völlig neuen Sinne. Goethe hat in einer seiner „Zahmen Xenien“ darauf eine Antwort gegeben, die unserer sehsüchtigen, fernsehsüchtigen, bilderwütigen Zeit geradezu auf den Leib geschrieben ist.
Dummes Zeug kann man viel reden,
kann es auch schreiben.
Wird weder Leib noch Seele töten,
es wird alles beim Alten bleiben.
Dummes aber, vors Auge gestellt,
hat ein magisches Recht.
Weil es die Sinne gefesselt hält,
bleibt der Geist ein Knecht.
„Magisches Recht“,
„die Sinne gefesselt, der Geist ein Knecht“, das klingt
zunächst nach reinstem Deuteronomismus. Was ist so schlimm an
den Bildern? Daß sie ein magisches Recht ausüben, die Sinne
gefesselt hatten und dadurch den Geist knechten. Das entspricht ganz
der jüdischen Sicht. „Wird weder Leib noch Seele töten“
klingt wiederum nach einer Zurücknahme des paulinischen Verdikts
des tötenden Buchstabens.
Hier geht es allerdings nicht mehr um Offenbarung und Wahrheit, sondern
um „dummes Zeug“. Im Hinblick auf die Offenbarung der
Wahrheit konnte das Wort als das einzig mögliche, einzig legitime
Medium erscheinen; im Hinblick auf das „dumme Zeug“ erscheint
es lediglich als das kleinere Übel. Es macht nicht frei, sondern
beläßt dem Geist etwas von seiner kritischen Freiheit.
Klingt das nicht wie ein Plädoyer gegen das Fernsehen, für
Zeitung und Radio? Das Wort beläßt dem kritischen Geist
seine Freiheit, anzunehmen oder abzulehnen. Das Bild aber nimmt seine
Sinne gefangen, übt eine magische Wirkung auf den Betrachter
und beraubt ihn seiner kritischen Distanz. In der Tat, unser Problem
heute ist nicht mehr die Wahrheit, sondern die sintflutartige Überschwemmung
mit dummem Zeug, die längst alle kritischen Pegelstände
überschritten hat. Was ist so schlimm an den Bildern? Daß
sie uns diesem in Gestalt von Werbung und politischer Propaganda täglich
auf uns eindringenden dummem Zeug wehrlos ausliefern. Sie versklaven
den Menschen tatsächlich zu „fremder Dienstbarkeit“
an die Mächte dieser Welt und verführen ihn zu Idolatrie
und Ideologie.
Aber das gilt nur für das dumme Zeug, das Hauptproblem unseres
Medienzeitalters. In Bezug auf das Streben nach Wahrheit und den Fortschritt
in der Geistigkeit haben die Bilder gleichen Rang wie die Sprache
und gleichen Anteil an der Artikulation der Wirklichkeit. Wo es um
Kunst und Erkenntnis geht, wäre es ganz unsinnig, das eine Medium
gegen das andere auszuspielen.
Daher ist gar nichts schlimm an den Bildern. Schlimm ist nur, wenn
sie zu Medien der Unterdrückung und Verdummung, Manipulation
und geistigen Versklavung mißbraucht werden im Dienste politischer
Ideologien oder kommerzieller Marketing-Strategien, wozu sie sich
offenbar, wie Goethe meint, besser eignen als Worte. Dann muß
man sie stürzen.