Politik der Anti-Idolatrie
von Hans-Peter Schmidt
Die Tatsache, sich mehr oder
weniger große Abbilder eines Gottes erschaffen zu können, in
denen der Gott angebeten werden konnte, ermöglichte es, mit dem Gott
an quasi jedem Ort unmittelbaren Umgang zu pflegen. In jedem Dorf, in jedem
Zeltlager konnte es goldene Stiere geben, zu denen sich die Sippe auch ohne
Vermittlung von Priestern im Gebet wenden konnte. Wie ein Kreuz überm
Ehebett konnte sich sogar jeder seine eigenen kleinen Tefilim im Schrein
des Zeltes oder Hauses halten und in jedweder Not sowohl Zwiesprache mit
Gott halten als auch Opfer darbringen. Folge davon waren mehr oder weniger
private und kaum kontrollierbare Beziehungen zu Gott und zudem höchst
vielfältige Vorstellungen von Gott.
Im Verbot der Idolatrie muß somit vor allem auch die Unterbindung
der individuellen, unüberwachbaren Beziehung zu einem in diesem Fall
kaum definierbaren Gott oder Göttern gesehen werden. In der Überwindung
der Idolatrie sah die Priesterschicht den Weg, um sich in einer Hauptstadt
das Monopol des Gottesrapports zu verschaffen. Erstes Ziel des Verbots der
Idolatrie wäre somit die Zentralisierung der Religion gewesen und folglich
vor allem eine Frage der Macht und des Einflußbereiches der hauptstädtischen
Priesterkaste. Das Idolatrieverbot stand ganz im Interesse der Priester,
die sowohl als Vermittler als auch als Zeremonienmeister der Opferungen
von der Zentralisierung profitierten. Dank der Singularisierung des Buches,
der Bundeslade, des Tempels und des Gesetzes machten sich die Priester unabkömmlich
und zu den eigentlichen Herrschern der Gläubigen. Der intercommunautaire
Kampf gegen die Idolatrie wäre demnach, von außen gesehen, vor
allem ein politischer Machtkampf zwischen einer Priesterkaste und den Vorstehern/Prinzen
(Sarim) der einzelnen Sippen Israels. Daß sich ein einheitliches Gottesgesetz
nur auf diese Weise auf ein ganzes Volk übertragen ließ, spielte
dabei womöglich nur eine sekundäre Rolle.
Das Buch als Träger von Gesetz, Weltanschauung und Tradition, das von
den Priestern zentral verwaltet wurde, wurde meiner Ansicht nach erst später
zur „transportablen Religion“, wobei es anfangs im Gegensatz
zu den Hausgöttern stets der Vermittlung alphabetisierter Priester
brauchte, was eine weitestgehend einheitliche Religion des Volkes ermöglichte.
Daß es später gerade durch das Buch wieder zu individuellen Beziehungen
zum unvorstellbaren Gott kam, steht auf einem anderen Blatt.